Wie viel „Barbie“ verträgt ein Kind?
Wie pädagogisch wertvoll ist es überhaupt noch, seinem Kind eine Barbie Puppe zu kaufen? (Anm.: pro Minute werden weltweit 100 Barbies verkauft)
In Kreisen von Erziehungsberechtigten, die sich für aufgeklärt und emanzipiert halten, herrscht eine weit verbreitete Meinung, das Barbie kein passendes Spielzeug für Kinder ist. So als würde es sich um keine Puppe, sondern um eine Spielzeugwaffe handeln.
Die Spielzeugforschung schaut sich das Thema objektiver an. Die Puppe habe einen hohen Aufforderungscharakter. Soll heißen, dass es bei Kindern Lust weckt, sich mit ihm zu beschäftigen. Vor allem wegen der vielen Spielmöglichkeiten. Eine Barbie können Kinder anziehen, ausziehen, sie frisieren, mit ihr das nachspielen, was sie im Alltag sehen und selbst erleben. Ein perfektes Fantasie-Spielzeug also für Rollenspiele, die bei Kindern mit ungefähr drei Jahren einsetzen und oft bis weit in die Grundschulzeit hinein Freude bereiten. Man kann die Figur nehmen und sie was sagen oder singen lassen, sie in den Urlaub fahren lassen, zwei Barbies miteinander streiten lassen. Und all das kann man alleine tun oder mit anderen Kindern zusammen. Außerdem gäbe es da kein No-Go laut der Spielzeugforschung: die Puppe lässt alles mit sich machen, lässt sich alles anziehen und sogar die Haare schneiden. Bei einer Freundin geht das nicht, bei Barbie schon. Genau das sei es wahrscheinlich, was Barbei für Kinder attraktiv mache.
Sieht so aus als gäbe es aus pädagogischer Sicht nichts einzuwenden gegen das Spielen mit Barbie. Denn das Rollenspielen ist eine wichtige Komponente für die frühkindliche Entwicklung der sozialen Intelligenz. Ein wichtiger Baustein für die Entwicklung von Empathiegefühl. Kinder machen in Rollenspielen sehr wichtige Erfahrungen und spielen sich so in die Welt der Erwachsenen hinein. Es spielt Alltagssituationen nach und entwickelt ein Verständnis für die Welt der Erwachsenen, ihre Aufgaben und Rollen im täglichen Leben. Es lernt sich in andere hineinzuführen, ist mal Vater oder Mutter oder spielt verschiedene Berufe nach. Es lernt die Welt auch mit anderen Augen zu sehen.
Im Rollenspiel wird Sozialverhalten geübt. Im gemeinsamen Spiel sprechen sich die Kinder untereinander ab über die Rollenverteilung und den Verlauf der Handlung. So lernen sie, sich in eine Gruppe zu integrieren, andere Meinungen zu akzeptieren, aber auch mal selber Regie zu führen, eigene Ideen und Vorstellungen durchzusetzen. Rollenspielen ist auch deshalb so sozial, weil Kinder voneinander Verhalten abschauen, in dem sie sich gegenseitig beobachten.
Nun, was passiert aber, wenn das Kind sich nicht mehr um eine Puppe kümmert, sondern sich selbst in dieser Puppe sieht? Was macht das mit diesem Kind? Wie viel Barbie steckt auch Jahre später noch in diesem Kind, konkreter: welchen Einfluss hat das Spielen mit Barbies auf das spätere Selbstbild von jungen Frauen und Männern?
Dazu gibt es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, wie sich das Spielen mit Barbies auf das Körperbild vor allem von Mädchen auswirkt.
Bekannt dazu wurde eine Studie aus dem Jahr 2006, die für Aufruhr sorgte. Britische Psychologinnen an der Universität Sussex hatten sie durchgeführt. Fünf- bis Achtjährigen wurde ein Bilderbuch mit einer Geschichte über ein fiktives Mädchen gezeigt. Bei der ersten Gruppe war das Mädchen eine Barbie, bei der zweiten eine Emme, eine vorübergehend in den USA erhältliche Puppe, modelliert und benannt nach einem amerikanischen Plus-Size-Model. Eine dritte Gruppe bekam ein Bilderbuch ganz ohne abgebildete Puppen. Hinterher sollten die Mädchen sagen, ob sie Aussagen wie, „Ich bin zufrieden damit, wie ich aussehe“ oder „Andere haben einen schöneren Körper als ich“ zustimmen.
Das Ergebnis: Mädchen in der Barbie-Gruppe waren unzufriedener mit sich selbst als die anderen Mädchen. Sie wollten öfter dünn sein!
Kann eine Studie mit 162 Mädchen ein evidenter Beweis dafür sein, dass Barbies bei jungen Mädchen zu Essstörungen führen? Dieser Effekt war zwar bei Fünf bis Sieben- Jährigen zu beobachten, aber bei keine Achtjährigen.
Eine andere Studie aus den Niederlanden fanden bei sechs bis 10-jährigen Mädchen keinen Zusammenhang zwischen dem Spiel mit Barbie- oder Emme-Puppe und der Körperwahrnehmung, dafür aber bei der Nahrungsaufnahme. Jene Mädchen, die gerade mit Emme-Puppen spielten, griffen öfter zu, wenn ihnen etwas Süßes angeboten wurde.
Hingegen eine Studie aus den USA untersuchte, welche Eigenschaften dreieinhalb bis fünfeinhalb-jährige Mädchen einer dünnen Puppe, einer normalgewichtigen Puppe und einer übergewichtigen Puppe zuordneten. Heraus kam, dass die Mädchen den dünnen und normalgewichtigen Puppen die positiven Eigenschaften (klug, glücklich, hat Freunde) zuordneten und den dicken Puppen die Negativen: keine Freunde, traurig, wird gehänselt.
Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin sehe ich die eigentlich Gefahr darin, wenn das Schlankheitsideal der Gesellschaft, zu gewissen Körperwahrnehmungs- oder Essstörungen bei Kindern und jungen Menschen führt. Zwar sind die Jungen in den meisten Studien nicht vertreten, was aber nicht zu bedeuten hat, dass sie nicht ebenfalls davon betroffen sind.
Aber auch hier ist Vorsicht geboten, nicht jedes Mädchen oder jeder Junge, dass diesem Ideal ausgesetzt ist entwickelt auch gleich eine Essstörung. Das ganze wird erst dann so richtig bedenklich, wenn dünn sein, mit Freunde zu haben, einen Partner zu finden, Erfolg im Beruf zu haben verknüpft wird. Größte Gefahr sehe ich darin, wenn Jugendliche und junge Erwachsene all ihre Bedürfnisse zurück stellen, für den vermeintlich idealen Körper. Wenn das gesellschaftliche Schlankheitsideal internalisiert wird und sich alles im Leben um das Aussehen dreht.
Mag. Özlem Akpinar-Celtik
(Inspiriert vom Dossier in „Die Zeit“ vom 9. Juli 2020, Nr. 29)